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"Jaaaa! Schlag ihn in Stücke!"
Verärgert hob das braunhaarige Mädchen, dass in einem gemütlichen Sessel nahe des Feuers sass den Kopf und schaute die zwei Jungs, die neben ihr Zaubererschach spielten, verärgert an. "Immer dieses... unzivilisierte, brutale Spiel. Könnt ihr nicht mal etwas Konstruktives machen?", schnaubte sie.
Der rothaarige Junge hob seinen Kopf und sah sie frech grinsend an. "Was denn bitte, liebe Hermine? Etwa lesen?" Er spähte auf den dicken, alten Einband, der auf dem Schoss von Hermine lag, etwa zu zwei Dritteln aufgeschlagen.
"Würde dir gut tun, Ron. Lesen bildet bekanntlich.", erwiderte Hermine etwas schnippisch. Sie mochte es nicht, wenn sich ihre Freunde über ihre Lesewut lustig machten.
"Hm, aber Hermine, Schachspielen bildet auch und trainiert das strategische Denken.", antwortete ihr Ron mit einem Zwinkern. "Dumme Bücher brauche ich nicht."
Hermine wollte gerade auffahren, als der zweite Junge, der bisher schweigend und schmunzelnd dem Schlagabtausch seiner beiden Freunde zugehört hatte, dazwischen ging. "Sag mal Hermine, was liest du denn da?", fragte er, nicht wirklich neugierig. Hermines literarisches Interesse erstreckte sich von Büchern über Biologie, Arithmantik, Geschichte chinesischer Baumzwerge bis hin zu Tränken der alten Welten und Medizin der gelben Blütenhicksler. Es konnte sich also durchaus um ein langweiliges Thema handeln, das ihn nicht im geringsten interessierte. Doch Hermines Ausführung über das vorliegende Buch war noch immer besser, als wenn sie sich den ganzen Abend mit Ron stritt, was ihnen allen den Tag verderben würde.
Hermine blickten den schwarzhaarigen Jungen mit den grünen Augen und der blitzförmigen Narbe auf der Stirn misstrauisch an. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass seine Frage nicht unbedingt auf Interesse beruhte. "Willst du das wirklich wissen, oder versuchst du mich nur davon abzubringen, diesem ignoranten Idioten meine Meinung zu sagen?"
"Heeeauuuuuu!" Ron, der Hermine hatte anfahren wollen, sah nun wütend zu dem unschuldig dreinblickenden Harry, der ihn vorhin gerade unter dem Tisch getreten hatte.
"Natürlich interessiert es mich. Also?", fragte er lächelnd, Ron ignorierend.
Hermine sah von einem zum anderen und musste lächeln. Sie wusste genau, dass Harry Ron soeben davon abgehalten hatte, einige sehr dumme Sachen zu sagen. "Na gut. Also es handelt sich um ein altes Werk, dass ich zufälligerweise in einer Antiquitätenbuchhandlung gefunden hatte. Eigentlich hätte es gar nicht dort sein dürfen, denn ich war in einer Muggelbuchhandlung. Es lag dort im Regal über Märchen und Sagen."
"Hermine...", knurrte Ron drohend, der mittlerweile seine Arme vor der Brust verschränkt hatte und sie gelangweilt ansah. "Wo du das Ding gefunden hast, interessiert doch niemanden."
Hermine warf ihm einen raschen Blick zu, seufzte und fuhr dann fort: "Also, wie auch immer, es ist ein Buch über uralte Legenden. Einige handeln von längst vergessenen Zauberern, andere von magischen Geschöpfen. Gerade habe ich eine äusserst interessante Geschichte über einen Mayamagier gelesen, der gerne Schlangen wachsen liess und ihnen Flügel anhexte. Ich nehme an, es handelte sich um eine Mischung zwischen Engorgio und..."
"Sehr interessant, Hermine. Harry, lass uns weiterspielen.", unterbrach Ron und begann, seine Positionen auf dem Brettspiel zu überdenken.
"Ron..." Harry seufzte und schaute vorsichtig zu Hermine, in Erwatung ihrer Explosion. Doch sie kam nicht. Stattdessen lächelte sie listig und sagte: "Na gut, dann lese ich jetzt die Geschichte über die Entstehung des ersten Thestrals. Ihr wisst schon... diese unsichtbaren geflügelten..."
"Wir wissen was Thestrale sind!", warf Ron ein, der sein Schachspiel sogleich vergessen hatte.
Harry musste grinsen. Bei sich dachte er: Gut gemacht, Hermine. Ron hat in letzter Zeit ein überraschendes Interesse an den Thestralen entwickelt... damit hast du seine Aufmerksamkeit gewonnen.
"Also, was ist jetzt mit den Thestralen?", fragte Ron ungeduldig, der sich mittlerweile erhoben hatte und seinen Stuhl näher an den Sessel von Hermine geschoben hatte. Harry folgte im, nicht minder neugierig geworden.
Hermine sah die beiden selbstzufrieden an, räusperte sich und begann dann das Geschriebene vorzulesen.
Die Legende des ersten Thestrals
Vor langer, längst vergessener Zeit in Mykenos, da lebten eine junge Hexe zusammen mit ihrem Grossvater glücklich in einem kleinen Zaubererdorf in den Wäldern nahe den magischen Gebirgen. Weitab von weltlichen Kriegen, Politik und Problemen der Muggel unterrichtete der alte Zauberer seine Enkelin in Pflege magischer Wesen. Damals waren die Wälder voll von seltsamen Geschöpfen des Lichts, wie auch der Dunkelheit. Der alte Magier hatte sich auf eine ganz besondere Art spezialisiert und seine Liebe zu diesen Geschöpfen an seine Enkelin weitergegeben. Diese Wesen sahen Pferden nicht unähnlich, doch sie waren keine. Sie trugen auf ihren Rücken mächtige Schwingen, wie die Flügel eines Schwanes. Zumeist waren sie weiss und sehr, sehr eigensinnig. Stolz gehörte zu ihren Eigenschaften, wie auch Treue und Mut. Diese Wesen wurden Pegase genannt.
"Hey, Moment mal!", unterbrach Ron ziemlich laut. "Ich dachte, es ginge hier um Thestrale? Was soll jetzt das mit den Pegasen?"
Hermine atmete tief durch um sich zu beruhigen und sagte in gefasstem Ton: "Ron... halt die Klappe und hör zu! Also weiter."
Die junge Hexe liebte ganz besonders einen der jungen Hengste, ein prachtvolles Wesen mit glänzend weissem Fell, wundervollen gefiederten Flügeln, deren Spitzen golden schimmerten, langem Schweif und Mähne aus seidigem Haar und tiefblauen Augen. Diese Augen funkelten von Witz und Frechheit und der junge Pegase liebte es, das Mädchen durch die Lüfte zu tragen, mit ihr die Wälder zu erforschen und Fangen zu spielen. Die meiste Zeit waren die beiden unzertrennlich.
Doch eines Tages wollte der alte Zauberer in ein weit entferntes Dorf der Muggel, um dort Tränke und Tinkturen gegen Stoffe und Handelsgüter einzutauschen. Seine Enkelin sollte ihn begleiten, damit sie die Welt der Muggel kennen lernte, doch der Pegase durfte nicht mit. Die junge Hexe war sehr traurig und weinte zum Abschied. Als er den Zauberer und seine geliebte Freundin nur noch als kleine Punkte am Horizont sah, überkam den Pegasen tiefe Trauer und er legte sich zum schlafen unter einen Baum. Er wollte dort die Rückkehr seiner Freundin abwarten. Er hatte keine Lust, mit den anderen zu spielen und herum zu tollen. Die anderen Pegase, die zuerst versucht hatten, ihn aufzumuntern, gaben nach einigen Tagen auf. Schliesslich hatten auch sie ihren Stolz. So lag der junge Hengst traurig und deprimiert Tag für Tag, Nacht für Nacht unter seinem Baum, wartend auf seine Freundin. Doch sie kam nicht.
Nach einigen Wochen des Wartens erschien ein fremder Zentaur, ein Flüchtling aus einer zerstörten Heimat, und brachte Kunde über den alten Zauberer und die junge Hexe. Der Pegase war mit einem Mal voll wach und trat vorsichtig näher, um kein Wort zu verpassen. Der Zentaur erzählte von einem furchtbaren Krieg zwischen den Harpyen, den Amazonen und den Zentauren. Die beiden Reisenden waren mitten in diesen Krieg geraten. Als der Kampf vorbei war, lebten nur noch wenige, fliehende Harpyen, die Amazonen zogen sich zu den Muggeln zurück und die Zentauren entschwanden in die Wälder. Doch der alte Zauberer und die junge Hexe seien bestimmt tot.
Der junge Pegase war zutiefst entsetzt. Er konnte es nicht glauben, wollte es nicht fassen. Er stieg zornig auf seine Hinterbeine und liess seine vorderen Läufe durch die Luft wirbeln und sein schrilles Wiehern liess den Zentauren und die magische Bevölkerung des Dorfes zusammenzucken. Die anderen Pegase kamen heran galoppiert und geflogen, um ihren Freund zu beruhigen, doch dieser kehrte sich um seine Achse und floh in schnellem Galopp. Mitten in seinem Sprint breitete er seine imponierenden Schwingen aus und erhob sich in die Lüfte.
Er flog sehr lange, Tage, Nächte, weder eisiger Regen noch Sturm vermochte in zum Landen zu bringen. Erst als er das Schlachtfeld erreichte, drosselte er seine Geschwindigkeit und sank herab zu Boden. Nervös und ängstlich zog er mit seinen Nüstern die nach Blut, Schweiss und Angst riechende Luft ein. Angewidert stiess er Leichen auseinander, scharrte Waffen zur Seite, stiess Wesen an, in der Hoffnung, dass einer noch am Leben sein und ihm bei der Suche nach seiner Freundin helfen könnte. Doch es lebte keiner mehr. Nur Tod und Verderben fand er.
Er weitete seine Suche aus, bis er auf einen Tempel stiess. Aus dem Tempel hörte er Geräusche. Es hörte sich an, als würde jemand weinen. Vorsichtig betrat er den halb verfallenen Tempel; welcher Gottheit er gewidmet war, konnte er nicht erkennen. Seine Hufe hallten durch die Gewölbe und eine Gestalt am Ende eines Altares erhob sich. Der Pegase erkannte den alten Zauberer und eilte auf ihn zu. Hoffnung breitete sich in seinem Herzen aus, denn wenn der alte Zauberer noch lebte, dann... doch dann sah er seine geliebte junge Hexe. Sie lag da auf dem Altar, sah aus schliefe sie, doch kein Atemzug kam über ihre Lippen.
Der Pegase spürte sein Herz schmerzhaft klopfen, er hatte das Gefühl, es zerspringe gleich. Er wollte es nicht wahrhaben und stupste seine Freundin mit seinen weichen Nüstern an. Doch sie reagierte nicht. Sie sprang nicht auf, um ihn lachend zu fangen. Sie verzog nicht ihren Mund zu einem Grinsen, um zu rufen: "Reingelegt!". Sie lag einfach da. Kalt. Steif.
"Mein Freund", hörte er den alten Zauberer flüstern. "Ich wollte sie beschützen. Ein magischer Speer eines Zentauren traf mich gleichzeitig mit dem Fluch einer Harpye... ich spürte wie das Leben aus mir wich. Doch dann kam ich wieder zu mir und über mir stand Hades, in den Händen trug er meine Enkelin. Er sagte... er sagte zu mir, dass sie ihn, als er durch die Toten schritt um die guten von den schlechten Seelen zu trennen, ihn darum gebeten hatte, ihr Leben zu nehmen und mir meines zurück zugeben. Ich ... ich flehte ihn an, dies rückgängig zu machen, doch er kehrte mir einfach den Rücken zu. Ich zog meinen Zauberstab, um ihn aufzuhalten, doch kein Fluch wirkte. Ich folgte ihm in diesen Tempel, wo er die sterblichen Überreste meiner Enkelin hinlegte. Dann verschwand er...." Der alte Zauberer wurde von neuen Weinkrämpfen geschüttelt. "Welch ein Hohn.. das Leben eines jungen Mädchen, gegen das eines alten Sterbenden...."
Der Pegase spürte, wie ungewohnte Gefühle in ihm tobten. Er konnte sie nicht einordnen. Diese mächtigen, neuen starken Gefühle liessen ihn zittern. Er stampfte mit seinen Hufen auf und sah den alten Magier wild an.
"Ich will sie auch zurück... doch ich kann... es gibt eine Möglichkeit. Aber ich benötige deine Hilfe."
Der Pegase nickte mit seinem Kopf, ungeduldig wartend auf den Plan des alten Magiers.
"Mein Freund, das wird aber nicht leicht, im Gegenteil. Es wird die Hölle, ihm wahrsten Sinne des Wortes. Ich werde dich zu Hades schicken." Der Magier stand vorsichtig auf und sah sich um. "Ich benötige einige Dinge. Kräuter, Ingredienzien, einen Topf. Hilf mir, sie zu beschaffen." Mit neuer Kraft durch das Ziel vor seinen Augen, marschierte er los, um auf dem Schlachtfeld die nötigen Zutaten und Gegenstände zu suchen. Der Pegase folgte ihm und erlaubte, dass der alte Zauberer ihm einen Sack um den Hals band, in dem sich bald verschiedene Kräuter und Zutaten dem Fingernagel eines toten Zentauren, eine Kralle einer Harpye und Haare einer Amazone befanden. Noch vor einem Tag wäre der Pegase vor diesen Dingen zurückgeschreckt, waren sie doch Teile von toten Wesen. Während sie die benötigten Zutaten zusammensuchten sprach der alte Zauberer weiter.
"Ich will dir die Wahrheit nicht vorenthalten. Es handelt sich dabei um uralte, verbotene Nekromantie. Schwarzmagier verwendeten sie früher. Dieser Hades ist ein Wesen aus der astralen Ebene, aus der Ebene der Toten. Die Muggel denken, er wäre ein Gott. Doch er ist, soweit man den alten Pergamenten und Überlieferungen Glauben schenken darf, ein längst toter Schwarzmagier, der sich als böser Geist ein Reich für schwarze Seelen geschaffen hat. Dieses Reich ist magisch, also müsste ich dich dahin schicken können. Doch mein Freund, du bist dann als reines Wesen in einer Welt voller dunkler Geschöpfe. Ich befürchte, dass dein Herz nicht rein bleiben wird. Du wirst vielleicht nie wieder in unsere Welt zurückkehren können."
Der Pegase, der ihm aufmerksam zugehört hatte, schüttelte wild seine Mähne und sah den alten Zauberer entschlossen an. Es war ihm egal, was aus ihm wurde, Hauptsache, er konnte der jungen Hexe helfen.
"Stopp, stopp, jetzt halt mal. Was ist nekro...nek..", unterbrach Harry Hermine neugierig.
Hermine rieb sich ihre Nase und sah Harry mit gerunzelter Stirn an. "Also Harry, es wäre wirklich schön, wenn du mal lesen und dich nicht nur für Quidditch interessieren würdest. Nekromantie ist die Wissenschaft, mit der Welt der Toten in Verbindung zu treten."
"Also ... Geister?", fragte Ron.
Hermine verdrehte genervt ihre Augen. "Also wirklich Jungs. Ihr solltet mal lernen und lesen. Es täte euch gut. Nekromanten konnten mit den verstorbenen in Verbindung treten, die keine Geister waren oder anderweitig in unserer Ebene verweilten."
Harry setzte sich sofort auf. "Warum... warum hast du mir das nicht schon längst erzählt! Mit dieser Nekrodingsda... könnte ich... könnte ich mit..."
"Nein, Harry.", unterbrach Hermine hastig ihren Freund. Sie wusste, er wollte gerade von seinem verstorbenen Paten, Sirius Black und seinen Eltern, die an seinem ersten Geburtstag von Lord Voldemort, einem Schwarzmagier, ermordet worden waren, sprechen.
"Nekromantie ist eine vergessene Wissenschaft. Sämtliche Unterlagen darüber sind verschwunden. Diese Geschichte hier... es ist das erste mal, dass ich die Nekromantie so beschrieben sehe. Normalerweise steht in den Bücher nur: "Nekromantie: die vergessene Wissenschaft mit der Sphäre der Toten in Verbindung zu treten." Und noch etwas, Harry. Diese Wissenschaft wurde ausschliesslich von Schwarzmagiern benutzt."
Harry presste seine Lippen aufeinander. Er grübelte darüber nach, wie diese Wissenschaft wohl funktionierte und ein vager Plan, die verbotene Abteilung in der Bibliothek diese Nacht noch aufzusuchen, reifte in seinem Gehirn. So einfach wollte er eine Möglichkeit, mit seinen Eltern und Sirius in Verbindung zu treten nicht aufgeben.
Hermine sah Harry vorsichtig an. Sie wusste genau, woran er dachte und mit einem raschen Blick auf Ron, dass auch er wohl heute Nacht nicht schlafen gehen wollte. Hermine entschied sich, erst einmal diese Geschichte zu Ende vorzulesen und dann weiter zu sehen.
Der alte Zauberer zauberte, hexte und brodelte eine Woche lang Tag und Nacht an einem Trank, dessen Gestank dem Pegasen die Tränen in die Augen trieb. Nie gehörte, uralte Formeln sprach der Magier unentwegt, während er unter den misstrauischen Blicken des Pegasen Leichenteile zerschnitt, Herzfasern beigab, Fingernägel und Krallen, Grauwurz, Rindssamen und andere Bestandteile, die sich der Pegase nicht mehr merken konnte.
Der Pegase war angewidert und all diese schwarzmagischen Formeln und Verse, dieser Trank, drängten ihn ihm den Wunsch auf, er könne einfach vergessen und gehen. Seine Freundin vergessen. Besonders schlimm war es für ihn, als der alte Zauberer ein Reh opferte. Das arme Tier lebte noch, als der Zauberer das noch schlagende Herz beigab.
Rons Würgegeräusche liessen Hermine unterbrechen. Mit einem raschen Blick sah sie zu Harry, der ebenfalls blass geworden war und grün um die Nase aussah.
Bei sich dachte Hermine befriedigt, dass sich wohl weder Harry noch Ron näher mit der Nekromantie befassen würden. Keiner von Beiden würde es übers Herz bringen, ein unschuldiges Wesen zu töten.
In der siebten Nacht, es war kurz vor Mitternacht, war der Trank so gut wie fertig. Der alte Zauberer rief den Pegasen zu sich und sprach: "Hör mir gut zu, mein Freund. Dieser Trank wirst du trinken müssen. Er wird das Überleben im Hades ermöglichen. Doch er wird dich verändern. In genau drei Tagen wirst du in unsere Welt zurückgezogen. Bis dahin musst du sie gefunden haben. Ich weiss nicht, ob das verlassen des Hades sie wieder erwecken wird. Doch zumindest ihre Seele wirst du damit daraus befreien können. Genau drei Tage." Der alte Zauberer seufzte und griff dann müde an seinen Gürtel. Dort zog er den silbernen Dolch heraus, mit dem er die vergangenen Tage die Zutaten geschnitten hatte.
"Nun kommt die letzte Zutat. Das Tor zur Unterwelt wird nur für Tote geöffnet. Nur wenn die Seele einen Körper verlässt, dann öffnet es sich. Nein, nicht ein Tieropfer, wie das Reh. Es muss ein Menschenopfer sein. Und wenn man jemanden bestimmten sucht, ist es hilfreich, wenn das Opfer dasselbe Blut in sich trug, wie die Gesuchte. Die magischen Formeln werden mich so lange am Leben halten, bis der letzte Tropfen Blut aus mir gewichen ist. Mit dem Blut wird der Trank fertig sein. Von diesem nimmst du dann genau fünf Schlücke. Das Tor zur Unterwelt wird sich öffnen, um meine entweichende Seele in den Tartarus zu holen. Da ich mir mein Leben nehme und schwarze Magie anwende, ist das gewiss. Durch die Zauberformeln, die ich bis zum Schluss sprechen werde, wirst du das Tor sehen können und dank des Trankes das Tor passieren können."
"Wie jetzt, Hades, Tartarus? Ich komm da nicht ganz nach...", meinte Harry und raufte sein ohnehin unordentliches Haar.
Hermine schnaubte einmal mehr. "Also wirklich, muss ich euch denn alles erklären? Hades ist dieser böse uralte Magier. Er schuf sein Totenreich. In diesem Reich ist der Hades, dort kommen Seelen hin, die zwar nicht rein, aber auch nicht wirklich böse waren. Die junge Hexe ist dort, weil sie zwar ihre Seele direkt eintauschte. Sie tötete sich nicht. Aber der alte Zauberer wendet zum einem schwarze Magie an und zum Anderen begeht er Selbstmord. Er kommt deshalb in das andere Reich, dass Hades schuf, den Tartarus. Im Tartarus werden die sehr schlechten Seelen bis ans Ende der Zeit gequält werden."
"Also... kommen alle Guten in den Hades und alle bösen in den Tartarus? Ich dachte die kommen in den Himmel oder werden Geister?", fragte Ron verwirrt.
"Nicht die ganz guten kommen in den Hades. Reine Seelen kann Hades nicht holen. Das ist nur in der griechischen Mythologie der Muggel so. Himmel und Hölle, wie bei uns Aber hier ist es halt so, dass er nicht reine Seelen bekommt, die er aufteilt in weniger böse und ganz böse. Hades oder Tartarus. Und die reinen Seelen bekommt er überhaupt nicht. Kapiert?", erklärte Hermine unwirsch. Sie wollte unbedingt weiter lesen.
Ron sah sie nun noch verwirrter an und sah fragend zu Harry, der offenbar auch nur Bahnhof verstanden hatte. "Es ist ja eh nur eine alte Geschichte. Und eine brutale dazu...", hörte er seinen Freund murmeln.
Der alte Zauberer sah den Pegasen eindringlich an, der diesen Blick, wenn auch mit viel Unbehagen, erwiderte. Dann schnitt sich der alte Zauberer in jedes Handgelenk zwei Tiefe, schräge Schnitte und hielt seine Blutenden Arme über den brodelnden Topf. In uralten Formeln sprach er die Sprüche, teils singend, teils leise, teils laut.
Der Pegase schaute zitternd dem furchtbaren Schauspiel zu. Es machte ihm Angst und das Blut schien ihm in den Adern zu gefrieren, während es aus dem Zauberer floss und dessen Leben mit sich nahm. Der Pegase sah das letzte Aufglimmen aus dessen Augen, dann wurden sie ausdruckslos. Seinen Ekel überwindend zwang er sich zu dem Trank und begann zu trinken. Bei dem ersten Schluck hätte er das Gebräu am liebsten ausgespuckt. Doch dann sah er wieder den Zauberer vor sich und seine junge Freundin. Beim zweiten Schluck wurde ihm schwindelig und beim dritten sah er, wie sich das Tor öffnete. Viele Farben drehten sich zu einem Wirbel, aus dessen Mitte eine gleissende Sonne zu scheinen schien. Auch sah er, wie die Seele des Zauberers entschwand.
Der Pegase würgte rasch zwei weitere Schlucke hinunter und folgte dem Zauberer in durch das Lichttor. Als er das Tor durchschritt sah er sich mit einer Weggabelung konfrontiert. Der eine führte direkt zum Tartarus, wie er annahm. Denn aus dieser Richtung roch er totes Fleisch, hörte er verzweifelte Schreie und verspürte Hitze. So nahm er rasch den anderen Weg, der ihn in einen dichten Nebel führte. Erstaunt sah er, wie die Seelen der Toten umherwanderten, mit leerem Blick, offenbar ohne die anderen wahrzunehmen.
Der Pegase fühlte einen starken Druck in seinem Kopf und er spürte, wie auch seine Sinne zu schwinden drohten. Ihm war noch immer schlecht wegen des Trankes und er fragte sich, was dieser wohl genau mit ihm gemacht hatte. Er zwang sich zu suchen und zu suchen. So verging der erste Tag und die erste Nacht. Der Pegase fühlte eine tiefe Traurigkeit. Zwar ängstigten ihn die wandelnden, leeren Toten nicht mehr, doch sie waren ihm auch nicht ganz geheuer. Er fragte sich, ob seine Freundin wohl auch so herumwandelte, in diesem unendlich scheinenden, leeren, nebligen Ort.
Am zweiten Tag, er zwang sich nun zu schnuppern in der Hoffnung, sie riechen zu können. Er entschloss sich, sich in die Lüfte zu erheben und suchte nun von oben, wobei er von hier nicht viel mehr sah, als diesen deprimierenden grauen Nebel. Doch schliesslich erblickte er eine Art Meer, ein Binnenmeer, denn auch dort wandelten die Seelen. Der Pegase setzte zur Landung an, denn es dürstete ihn. Doch im Binnenmeer erblickte er nicht sich selbst, sondenr ein schwarzbläuliches durchscheinendes, Angst einflössendes Wesen mit roten Augen und fledermausartigen Flügeln. Entsetzt sprang in die Luft und breitete seine Flügel aus. Der Pegase sah, wie das Monster im See ebenfalls seine hässlichen Flügel ausbreitete und er begriff die schreckliche Wahrheit. Vorsichtig und hoffend, dass es doch nicht so sei, blickte er auf seine Flügel. Doch anstatt seiner einst so wundervollen weissen, fedrigen Schwingen waren da nun eben diese schwarzen Fledermausflügel. Der Pegase verliess so schnell wie möglich diesen See und liess sich dann schliesslich in einigen besonders dichten Nebelschwaden nieder. Er fühlte, wie Verzweiflung in ihm aufstieg. Er liess seine Flügel hängen und seine Gedanken treiben, bis er nichts mehr fühlte, nichts mehr sah, nicht mehr wusste.
Auch am dritten Tage blieb er so und so verstrich seine Zeit bis der dritte beinahe vorbei war. Doch dann roch er sie. Erst unbewusst und ohne Erinnerung. Doch sein Körper setzte sich in Bewegung, drängte in die Richtung des gleichen Blutes, das nun durch die Einnahme des Trankes auch in seinen Adern floss. Es drängte ihn zu einer herumirrenden Seele und als er sie sah, erinnerte er sich auch wieder. Er packte ihr Gewand mit den Zähnen und just in dem Moment wurde er in Welt der Lebenden zurückgezogen.
In der Welt der Lebenden waren sie jedoch nicht mehr diejenigen die sie einmal waren. Das Mädchen ward ein Geist, dessen Seele weder in die ewigen Gefilde aufsteigen, noch zurück in den Hades oder gar den Tartarus konnte. Und der Pegase war kein Pegase mehr. Er war ein Wesen, das im Reich der Toten war. Das durch die alte verbotene Wissenschaft der Nekromantie in ein astrales Wesen verwandelt worden war. Zauberer und Hexen, die den Tod erblickten, sahen das astrale Wesen und nannten es: Thestral!
Ende
"Ende? Das kann doch nicht schon das Ende sein. Hermine!", rief Ron aus.
Doch diese schloss nach einigen letzten Blicken auf die Seiten den Deckel und nickte. "Doch Ron, das war es. Die Geburt des ersten Thestrals."
"Und das Buch hast du echt in einer Muggelbuchhandlung gefunden?", fragte Harry.
"Ja. Ich war selber erstaunt... oder bin es immer noch. Ich frage mich, welche magischen Bücher wohl noch in der Muggelwelt verloren gegangen sind."
"Also.. dann stammen die Thestrale also von einem Pegasus ab, der im Hades war? Und warum fressen die jetzt Fleisch?", fragte Ron, der nun offenbar restlos verwirrt war.
Hermine schaukelte ihren Kopf abwägend hin und her. "Pegase, Ron. Nicht Pegasus. Mehr oder weniger hast du es erfasst. Möglich, dass der erste so entstand... oftmals ist in Mythen und Märchen mehr als ein wahres Korn dran....aber heute vermehren sich die Thestrale in dem sie Eier legen. Übrigens taten das die Pegasen auch."
"Und was ist mit dem Fleisch? Pega...se fressen doch Gras?", fragte Ron abermals, mit der Antwort noch nicht ganz zufrieden.
"Vielleicht wegen dieses Trankes, der den Pegasen verwandelte... in dem waren doch, wenn ich es recht verstanden habe, Leichenteile und jede Menge Blut."
"Möglich", antworte Hermine knapp. Dann stand sie auf und streckte und reckte sich. Es war schon spät und sie war sehr müde. "Macht keine Dummheiten, wie etwa zur verbotenen Abteilung zu gehen", sagte sie zu ihren beiden Freunden, bevor sie ihnen gute Nacht wünschten.
"Als ob ich Lust hätte, Selbstmord zu begehen", brummte Harry leise. Ron verzog sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen und klopfte seinem Freund auf die Schulter. "Na komm schon. Gehen wir auch schlafen. Morgen haben wir als erstes eine Doppelstunde Snape."
Harry machte daraufhin in Gedanken an den ungeliebten Lehrer ein missmutiges Gesicht, folgte aber seinen Freund widerspruchslos in den Schlafsaal. Doch in seine Träumen verfolgte in die Geschichte und schliesslich wachte er in den frühen Morgenstunden schweissgebadet auf. Mit einem Blick durch die Fenster auf den noch dunklen Himmel wusste er, dass er viel zu früh wach war und entschloss sich, den Schlafsaal leise zu verlassen. Er wollte niemanden wecken, doch an Schlaf war auch nicht mehr zu denken. So nahm er seinen Umhang und schlich nach draussen. Er verliess Hogwarts und wanderte, ohne wirklich zu wissen wohin er eigentlich wollte, in Richtung des Waldes. Im Osten sah er, wie es langsam heller wurde.
Er betrat den Wald und lief, lief, immer weiter. Bis er schliesslich eine Lichtung erreichte, die ihm vage bekannt vorkam. Etwas roch hier auch seltsam. Schliesslich sah er Hagrid, wie er gerade mit einem riesigen Sack die Lichtung betrat. Der Halbriese liess den Beutel ächzend zu Boden fallen. Dann sah er sich um und entdeckte Harry. Fröhlich winkte er ihm zu. Dann griff Hagrid in den Beutel und nahm ein Stück Fleisch heraus. Und da wurde Harry klar, wo er war. Auf der Lichtung, auf der Hagrid die Thestrale fütterte! Schon sah er, wie der erste erschien und landete. Sofort tat sich das düstere, Pferdeähnliche Wesen an dem Fleisch gütlich. Bald gesellte sich ein zweites und drittes dazu. Hagrid winkte Harry zu sich herbei. Harry folgte dieser Einladung sofort, mochte er doch diese Wesen.
Also trat er langsam näher und sah vorsichtig zu den Thestralen. Auch in den Himmel sah er, wo immer mehr dieser Wesen auftauchten um auf der Lichtung zu frühstücken. Harry wollte sich gerade von den heran fliegenden Thestralen abwenden um wieder zu denen zu sehen, die schon am fressen und deutlich näher waren, als er aus den Augenwinkeln etwas sah. Er kniff seine Augen zusammen und das Blut stockte ihm. Was er sah, war ein Thestral, auf dessen Rücken ein Geistermädchen ritt. Sie schien ihm zuzuwinken und im nächsten Augeblick waren beide verschwunden.
"Harry, was starrste solche Löcher in die Luft? Komm hilf mir die Thestrale zu füttern."
Auf das Gesicht des Jungen stahl sich ein leises Lächeln. "Und so existierten sie glücklich und zufrieden bis ans Ende aller Tage", flüsterte er. Dann eilte er zu Hagrid und half ihm bei der Fütterung.
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