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Es ist still in den ehrwürdigen Räumen der Bibliothek von Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei. Natürlich ist es das.
Zufrieden poliert Madam Pince die glänzenden Messingecken eines in Leder gebundenen Buches auf ihrem Schreibtisch. In diesen frühen Morgenstunden hat sie Zeit, den Frieden des leeren Wissenstempels zu geniessen. Alle Schüler sind im Unterricht, an den langen Studiertischen sitzen nur zwei Sechstklässler, die sich geschäftig hinter ihren Büchern vergraben und seit einer vollen Stunde kein Wort mehr gewechselt haben.
"So liebe ich meine Arbeit" denkt sich Madam Pince, pustet noch einmal liebevoll über den Ledereinband ihres Buches und schreitet dann durch die bis zur Decke reichenden Regale, um es an seinen Platz zu stellen. Zufrieden sieh sie sich um. Leitern und Schemel stehen ordentlich verstaut am Ende jeder Regalreihe, der Parkettfussboden glänzt im warmen Licht des Sommermorgens, jedes Buch steht an seinem Platz. Reihe über Reihe, Regal an Regal, alles voller wertvollem, in mühseligen Jahren zusammengetragenem Wissen. Stolz kehrt Madam Pince an ihren Platz hinter dem Schreibtisch zurück. Wenn nur diese kleinen unvorsichtigen Bälger zu schätzen wüssten, was ihnen hier geboten wird! Dauernd missachten sie die Regeln, rennen herum, stopfen Bücher achtlos in Regale, knicken Seiten, essen während des Lesens, spritzen Tinte über die sorgfältig beschriebenen Seiten. Kein Wunder, dass der Zustand der Bücher sich mehr und mehr verschlechtert. Und der ihrer Nerven erst!
Madam Pince seufzt voller Selbstmitleid. Warum hat sie auch diesen undankbaren Job angenommen? Sie hat sich natürlich gefreut, als der damalige Rektor der Schule ihr die grosse Bibliothek zeigte. Hat sich gedacht, es sei eine echte Chance, die Aufsicht über so viele Bücher zu haben.
Sie hat davon geträumt, ihre Tage mit lesen und diskutieren verbringen zu können, lauter Bücherfreunde um sich zu haben, die fleissig aus dem alten, überlieferten Wissen schöpften.
Stattdessen verschwendet sie hier ihre Zeit mit der Jagd nach unvorsichtigen Schülern, muss lustlosen Kindern, die nur wegen der Noten lernen, Bücher ausleihen, auf die sie keinen Deut mehr acht geben, als auf ihre Bettsocken, muss ständig Strafen austeilen, weil die Bücher zu spät oder beschädigt zurückkommen und sich Komentare wie "dieser Autor muss verrückt sein" oder "wozu muss ich denn das wieder können" anhören.
"Das macht mich einfach alles krank!" sagt sich Madam Pince, während sie ihr grosses Notizbuch aus einer Schublade zieht und nachsieht, welche Einträge sich rot gefärbt haben, weil der gegenwärtige Besitzer des Buches mit dem Rückgabedatum in Verzug geraten ist.
In diesem Moment durchbricht ein schrilles Pfeifen die Stille in der Bibliothek. Das Geräusch wird lauter und der Ton wechselt zwischen unerträglicher und zwerchfellzerfetzender Höhe. Gerade als Madam Pince, die Hände erschrocken an die Ohren gepresst, denkt, ihr Kopf müsse zerplatzen, zerbricht mit einem splitternden Knall eine Fensterscheibe der Bibliothek, und der Lärm bricht ab.
Ein Scherbenhaufen und eine dunkelbraune Brennspur auf ihrem wunderschönen Parkettboden beseitigen für Madam Pince jeden Zweifel an den Urhebern dieses Malheurs und das Beweisstück dazu findet sich auch gleich danach unter einem der Regale: Ein ausgebrannter Filibuster-Kracher, Serie Heuler, limitierte Auflage. Madam Pince kennt sie alle. Um die Überreste des Krachers zu identifizieren, braucht sie nicht einmal mehr den "Katalog des farbigzischenden Partyknüllers" aufzuschlagen.
Wutentbrannt verlässt Madam Pince die Bibliothek und stürmt in Richtung Büro von Albus Dumbledore. Als sie den Zugang mit dem steinernen Wasserspeier erreicht hat sie sich so richtig in ihre Wut hineingesteigert und raucht nun geradezu vor Wut.
Die sich drehende Wendeltreppe ist ihr zu langsam, sie erklimmt sie, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, in Windeseile und stürmt, ohne sich die Mühe zu machen, anzuklopfen, in das Büro des Direktors.
Albus Dumbledore sitzt hinter seinem Schreibtisch, eine Feder in der Hand und einen Stapel Pergamente vor sich, und blickt die Bibliothekarin milde überrascht über seine halbmondförmigen Brillengläsern hinweg an. Fawkes, der Phönix, der sein prächtiges, goldrotes Gefieder gerade zu verlieren scheint, sitzt auf seiner Schulter.
"Nun, meine Liebe, was führt sie hierher?" fragt er unwissend lächelnd. Dieser Mann! Wie kann er nur in den unmöglichsten Situationen eine solche Ruhe bewahren!
Madam Pince holt keuchend Luft und legt los. Alles, alles bricht aus ihr heraus. Die ganze Wut über ihre langjährige Arbeit.
Dass sie es satt hat, ewig Angst um ihre Bücher zu haben. Dass es ihr reicht, unvorsichtigen Schülern Strafpredigten zu halten. Ewig falsch eingeordnete Bücher zu suchen. Jeden Tag nichts anderes zu hören als dass Bücher doof sind. Und dann noch das! Mal fliegt eine verirrte Eule geradewegs durch ein geöffnetes Fenster und lässt sich auf einem Regal nieder. Unzählige Bücher voller Eulenkot!
Juck -und Pustelpulver aus aufgerissenen Tüten in den Büchern der Weasly-Zwillinge. Und jetzt ein eingeschlagenes Fenster! Ein brennender Filibuster-Kracher! Eine Gefahr für die ganze Bibliothek! Was, wenn es einen Brand gegeben hätte? Und das schöne alte Buntglasfenster...!
Dumbledore hört aufmerksam zu, die Hände mit den langen Fingern unter dem Kinn gefaltet. Fawkes auf seiner Schulter legt den Kopf schief. Schliesslich gehen Madam Pince die Katastrophen aus und sie hält inne, um nach Luft zu schnappen. Nach einigen Sekunden der Stille wird sie sich ihres Ausbruchs bewusst und errötet.
"Direktor, es ist ja nur... ich wollte nur sagen..." Aber Dumbledore winkt ab.
"Ich verstehe sie vollkommen, meine Liebe." Sagt er sanft. "Eine Bibliothek wird nie nur von Leuten genutzt, die ihren unschätzbaren Wert kennen und würdigen."
Madam Pince nickt lebhaft.
"Aber damit muss eine Bibliothekarin leben."
Madam Pince seufzt schwer.
"Aber natürlich" jetzt lächelt Dumbledore, "natürlich kann man auch nicht alles durchgehen lassen. Und da vor allem bei den Herren Weasley unsere drakonischen Strafen nichts zu bewirken scheinen... müssen wir wohl... nach anderen Mitteln greifen." Er bückt sich hinter seinen Schreibtisch, wühlt in einer herausgezogenen Schublade und reicht Madam Pince schliesslich mit einem vergnügten Augenzwinkern eine kleine runde Blechdose über den Tisch. "Was ist das?" Fragt sie erstaunt.
"Oh, nichts Schlimmes", versichert er mit Unschuldsmiene. "Bloss selbstklebende, superflache Spuckpastillen. Geschickt in einem Buchumschlag angebracht sind sie total unsichtbar und werden den ersten, der das Buch öffnet, mit einer hübschen Portion Rizinus eindecken - Rizinus hilft immer." Fügt er weise hinzu. "Vor allem bei schweren Fällen wie den Weasleys. Und keine Angst, das Buch wird dabei nicht beschädigt."
Als Madam Pince sich durch die langen Gänge auf den Rückweg zur Bibliothek macht, verspürt sie tatsächlich den Drang, haltlos zu kichern.
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