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Professor Firenze

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Dein Gesetz - Mein Gesetz

Professor Firenze Im Dunkeln des Waldes unterschieden sich die Bäume kaum voneinander. Nur die Andeutung eines Schattens vor anderen Schatten und ein untrügliches Gefühl verhinderten, dass der Vorüberhastende in einen der dicken Stämme prallte. Aber selbst für einen, der im Wald aufgewachsen war, war die Orientierung in dieser Dunkelheit und bei diesem Tempo nicht einfach. Schweiss trat auf Firenzes Stirne, als er weiter galoppierte. Die Schläge seiner Hufe hallten dumpf von den düsteren Reihen der Bäume wider, die ihn wie eine undurchdringliche Wand umschlossen. Nur mit Mühe fand der Centaur immer wieder einen Durchgang. Er wusste, dass er sich in die falsche Richtung bewegte, ins Herzen des Waldes. Die Stämme rückten dichter zusammen und wirkten immer abweisender. Aber sie hatten ihm den Fluchtweg abgeschnitten. Oh, sie wussten genau so gut wie er, wo seine einzige Rettung lag. Firenzes Gehirn arbeitete fieberhaft in dem Versuch, einen Ausweg zu ersinnen. Aber einstweilen konnte er nichts anderes tun, als so schnell wie möglich zu laufen. Darin war er immer gut gewesen und er hatte einen beträchtlichen Vorsprung. Er konnte nicht hoffen, sie abzuschütteln. Aber wenn er sich irgendwie durch ihr Fangnetz winden könnte...

Ein unverkennbares Sirren in seinem Ohr sagte ihm, dass es zu spät war. Mit einem leisen "tschack" blieb der rot und schwarz gefiederte Pfeil im nächsten Baum stecken. Firenze verhielt seinen Lauf im gleichen Augenblick. Seine Hufe scharrten über den Boden, als er sich dagegen stemmte, und dann stand er still und zuckte mit keinem Muskel. Alles andere, das wusste er, wäre blanker Wahnsinn gewesen. Der rotschwarze Pfeil war ein Ultimatum. Würde er jetzt auch nur an Flucht denken, würde er noch im selben Moment von einem Pfeilhagel niedergestreckt.
Ein leises Schnauben erklang hinter ihm, als eine Gruppe von etwa fünf Centauren aus dem Dickicht trat. Sie hatten ihm aufgelauert und ein leichtes Spiel gehabt. Einige von ihnen stampften mit den Hufen. Dann räusperte sich einer und eine wohlbekannte Stimme forderte ihn auf: "Dreh dich um!"
Langsam drehte sich Firenze auf der Stelle. Seine hellen Augen ruhten auf Bane, dem Anführer der Gruppe, der nun zwei Schritte vortrat, um den Gefangenen zu mustern. In seinen harten Gesichtszügen lag grimmige Befriedigung. Aber Firenze konnte auch Verzweiflung in seinen Augen entdecken, als er seinem Gegenüber aufmerksam ins Gesicht schaute. Ein kurzer Blick auf die anderen Mitglieder der Truppe zeigte, dass sie vorwiegend aus jungen Centauren bestand. Ihre dunklen Leiber waren gegen den dunklen Hintergrund des Waldes kaum auszumachen. Sie alle hatten den Bogen nicht sinken lassen und standen mit aufgelegten Pfeilen hinter ihrem Anführer.
Bane hingegen hatte seine übrigen Pfeile im Köcher belassen. Den Bogen entspannt in der einen Hand, stand er vor Firenze und musterte ihn mit tiefer Verachtung. Dann verzog er das Gesicht und sagte nur ein einziges Wort.
"Verräter."

Er würdigte den Gefangenen keines weiteren Blickes, sondern drehte sich um und stapfte in den Wald hinaus. Firenze blieb nichts übrig, als zu folgen, flankiert von den schussbereiten Jägern. Schweigend verfolgten sie ihren Weg, der in etwas lichtere Teile des Waldes führte. Normalerweise begaben sich die Centauren nicht ins dichte Gehölz. Es war unwegsam für ihre vier plumpen Beine und ihre breiten Körper. Ausserdem mochten sie Lichtungen und Waldränder, von denen aus sie in der Nacht die Sterne beobachten konnten und hielten sich deshalb gern in deren Nähe auf. So schlug auch Bane einen mehr oder weniger direkten Weg zum Waldrand hin ein. Firenze fragte sich, wo wohl die übrigen geblieben waren. Es waren zu Anfang bestimmt mehr gewesen. Vielleicht warteten sie bei Magorian, der sich an der Hatz wohl nicht beteiligt hatte. Magorian, so dachte Firenze bitter, wird auch der Grund dafür sein, dass Bane in der heutigen Nacht am verbissensten hinter seinem ehemaligen Gefährten her war. Er wollte beweisen, dass er etwas taugte. Seit Magorian die Führung des Jägertrupps an sich gerissen und damit Banes Stellung als Respektsperson empfindlich gestört hatte, trug der schwarzhaarige Centaur ständig eine saure Miene zur Schau.
Mittlerweile hatte sich der Baumbestand verändert. Die dichten, dicken Stämme der dunklen Nadelbäume waren von schlanken, hochstämmigen Birken und Buchen ersetzt worden. Der Pfad, dem sie folgten, zeichnete sich deutlich auf dem Boden ab. Es war ein einfacher Wildwechsel, aber frisch und begehbar.
Firenze sah inzwischen keine Möglichkeit mehr, seinem Schicksal zu entgehen. Er richtete seinen Blick auf den dunklen Nachthimmel, der ab und zu zwischen den Ästen zu sehen war, und wunderte sich. Er hatte es ganz deutlich gesehen, dass es seine Aufgabe war, nach Hogwarts zu gehen. Ob er seine Bestimmung falsch verstanden hatte? Vielleicht war es nur der Entscheid, der wichtig gewesen war, um nämlich die Konsequenzen herbei zu führen. Woraus diese bestanden, das war ihm nur zu klar, wenn er die gezückten Bögen seiner Wächter betrachtete. Er war ein Verräter und als solcher aus der Herde verbannt worden. Er hatte zu lange getrödelt und nun würde er als Eindringling hingerichtet werden. Er entdeckte in sich ein vages Gefühl des Bedauerns. Es hätte ihn interessiert, einigen Menschenkindern von der Sterndeutung zu erzählen.
In diesem Moment wurde sein Gedankengang durch ein lautes Geräusch unterbrochen, das nicht in den Wald gehörte. Es war ein für die geübten Ohren der Centauren unglaublich lautes Schnaufen, begleitet von tropfenden Kaugeräuschen und einem feinen Wimmern. Gleichzeitig erklangen Geräusche, als würde sich etwas Grosses den Weg durchs Unterholz bahnen. Ohne entsprechende Anweisung blieb die ganze Gruppe stehen.
Wenige Augenblicke später teilten sich einige Sträucher am Rand des Weges und eine riesige Gestalt betrat die Szene. Im Halbdunkel war zu erkennen, dass sie sich in einen weiten, schäbigen Mangel gehüllt hatte. In den riesigen Pranken hielt sie eine Armbrust von ebenso enormen Ausmassen. Dichtes, verfilztes Gestrüpp von Haar und Bart umwucherten das Gesicht unter dem breitrandigen Hut. Am bemerkenswertesten aber waren die Augen, die aus dem Dunkeln unter der Hutkrempe hervorglitzerten wie verglühende Sterne.
"UND WAS, WENN ICH MA' EBEN FRAGEN DARF, MACHT IHR HIER?"
Donnerte die Gestalt mit einer grollend tiefen Stimme. Keiner der Centauren hatte den Bogen gesenkt. Bane hatte einen Pfeil aus dem Köcher geholt. Ungerührt antwortete er: "Unsere Geschäfte gehen dich nichts an, Hagrid."
"Gehen dich nichts an, gehen dich nichts an!" Polterte Hagrid. Er schien so wütend wie ein von der Kette gelassener Tanzbär. Firenze bewunderte seine Artgenossen dafür, dass sie noch keinen Schritt zurückgewichen waren.
"Ich mache hier meinen Kontrollgang und finde den ganzen Wald in heller Aufregung. Sagen, ihr wollt Firenze abknallen un' so, ja seid ihr denn noch bei Trost? Dumbledore persönlich hat ihn angefragt und nach Hogwarts bestellt, und ihr wollt ihn abmurksen?" Fang, der dicht hinter Hagrids Sicherheit bietenden Stiefeln kauerte, wimmerte leise.
Bane räusperte sich betont lässig und antwortete kühl: "In unseren Augen ist er ein Verräter und gehört nicht länger zu unserer Herde. Wir dulden keine Menschenfreunde." In seiner Stimme schwang deutlicher Ärger mit. Bane erklärte sich nicht gerne. Der Umstand, dass ein Zweibeiniges Wesen ihn zur Rede stellte, musste für ihn ungeheuer erniedrigend sein.

"Menschenfreunde, pah!" Hagrid schnaubte und fuchtelte mit der Armbrust herum. Bane und die übrigen Centauren traten respektvoll einen Schritt zurück. "Es geht hier nicht darum, ob ihr Menschenfreunde seid, oder nicht. Habt ihr es denn noch nicht kapiert? Hier geht es darum, ob ihr für Du-Weißt-Schon-Wer seid, oder für Dumbledore."
Bane schüttelte den Kopf. "Wir sind auf niemandes Seite."
"Papperlapapp. Seite oder nicht Seite, ihr werdet Firenze in Ruhe lassen. Euch gegenseitig abzumurksen, in diesen Tagen!" Grollend schüttelte Hagrid den Kopf und wandte sich halb ab, als sei die Sache damit erledigt. Fang wagte ein leises Bellen. Dies brachte für Bane das Fass zum überlaufen. Wütend stampfte er mit den Hufen auf und erhob die Vorderbeine in die Luft.
"Hier gilt unser Gesetz, Hagrid, nicht deines. Wir sind ein unabhängiges Volk und wir werden einen Verräter nicht entkommen lassen!" Empörte er sich.
Hagrid antwortete nicht, aber er drehte sich um und betrachtete Bane. Seine Augen glitzerten nicht mehr länger. Sie glühten in einem fahlen Licht, das nichts Gutes verhiess. Firenze fiel auf, dass er den Halbriesen noch nie so gross empfunden hatte. Hagrid schien in die Schatten hineinzuwachsen, als er noch einen Schritt auf die Truppe zumachte. Er hielt die Armbrust gesenkt. Er brauchte sie auch nicht, wie sich gleich zeigte. Als er sich Bane bis auf wenige Handbreit genähert hatte, verlor einer der jüngeren Centauren die Nerven und sein Pfeil flog von der Sehne. Er traf Hagrid am Oberarm, wo er zitternd stecken blieb, fast wie zuvor der rotschwarze Pfeil im Baumstamm. Hagrid reagierte nicht. Der verletzte Arm schoss vor und seine riesige Hand schloss sich um Banes Oberarm und zusätzlich etwa um seinen halben Rücken. Dann hob Hagrid den Arm an, und bei jedem Wort wurde Bane, mit den Vorderbeinen einige Zentimeter über der Erde schwebend, durchgeschüttelt.
"Hier - regiert - Albus - Dumbledore."
Mehr sagte er nicht.
Bane, wie gelähmt, ob vor Schreck oder vor Scham liess sich schwer sagen, trat einen Schritt zur Seite, sobald Hagrid ihn fallen gelassen hatte. Seine Gefolgsleute taten es ihm gleich. Firenze, der bis dahin ruhig dagestanden und die Szene mit Interesse verfolgt hatte, trat aus dem ihn umgebenden Kreis von Wächtern und an Hagrids Seite.

Auf dem Weg zu Hagrids Hütte sprachen sie kein Wort. Der Wildhüter schnaufte noch immer vor Wut. Fang trottete zufrieden geifernd neben den beiden her, sichtlich froh, dass er den Wald hinter sich lassen konnte. Und Firenze lächelte vor sich hin. Endlich blickte Hagrid ihn von der Seite an und meinte: "Da rettet man ihm den Hals und er steht nur da und grinst die ganze Zeit... Bei allen tanzenden Kobolden, ihr Centauren seid schon ein seltsames Volk!"
Firenze musterte ihn aus seinen hellen Augen, in denen sich nun die Sterne widerspiegelten. "Mag sein." Meinte er sanft. "Aber ich weiss mich trotzdem zu benehmen. Ich danke dir, Hagrid."
Der Halbriese grunzte nur unverständlich. "Sag mir lieber, worüber du so vergnügt bist, Firenze."
"Oh." Der Centaur lächelte schelmisch. "Ich bin nur froh, dass sich meine Prophezeiung erfüllt hat. Es wäre mir sehr peinlich gewesen, wenn die letzte Sterndeutung meines Lebens sich auch noch als falsch herausgestellt hätte."

by yaga

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