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"Ach verflixt und eins!" Polternd landete der Zauberstab in einer Zimmerecke. Seufzend bückte sich Rolanda danach und hob ihn auf, nur um ihn gleich darauf über dem Bett wieder fallen zu lassen. Sie selbst plumpste hinterher.
Ihre Freundin Jessica, die es sich auf einer Ecke des Bettes bequem gemacht hatte, versuchte, Rolanda zu trösten.
"Mach dir doch nichts draus. Ich hab dir gleich gesagt, es funktioniert nicht." Seufzend schüttelte sie den Kopf und spielte mit einer Strähne ihres langen, dunkelbraunen Haares, die ihr ins Gesicht gerutscht war.
Die beiden Mädchen, die da gemeinsam auf den weichen Kissen sassen, hätten nicht verschiedener sein können. Jessica trug ihre Haarmähne in einem schleifengeschmückten Ponyschwanz, eine Brille unterstrich ihr braves Aussehen. Sie hatte lustige Sommersprossen im Gesicht und glänzende, braune Augen. Niemals trug sie Hosen oder anderen unkleidsamen Kram. Sie hatte ihren Faltenrock sorgsam um sich ausgebreitet, damit er nicht zerknitterte. Auf ihrer weissen Bluse war kein einziger Fleck zu erkennen.
Ihre beste Freundin Rolanda, die immer noch ein finsteres Gesicht zog und damit ihr forsches Erscheinungsbild noch unterstrich, trug das hellbraune Haar raspelkurz. Ihr Hemd hatte wohl schon seit einiger Zeit kein Bügeleisen mehr gesehen, und auf den groben Hosen zeigten sich Grasflecken. Ihre stechenden, hellgrauen Augen schweiften zum Fenster hinaus, während sie angestrengt an ihrer Unterlippe kaute.
"Das kann einfach nicht sein", rief sie schliesslich aus. "Ich habe alles richtig gemacht. Ich weiss es!"
"Du siehst ja, dass es nicht geklappt hat.", gab Jessica nüchtern zurück. "Also muss da auch ein Fehler gewesen sein. Und überhaupt.", sie schüttelte nachdenklich den Kopf. "Ich finde, du solltest diese Schnapsidee vergessen. Wer weiss, was da alles passieren kann."
Rolanda schüttelte heftig den Kopf. "Du weißt doch, dass es mein grösster Wunsch ist, fliegen zu können.", antwortete sie ungeduldig.
"Aber du kannst doch fliegen." Jessica wies mit einer ausladenden Gebärde auf einen Besen, der in einer Ecke des Zimmers stand. "Du kannst fliegen, und das sogar sehr gut. Ich wünschte, ich wäre eine so gute Fliegerin wie du und könnte in der Quidditchmannschaft mitmachen. Hach, alle würden mich bewundern..." ihre Augen bekamen einen träumerischen Ausdruck. Aber Rolanda lachte nur trocken. "Als ob sie das nicht jetzt schon täten. Du bist das beliebteste Mädchen unseres Jahrgangs, das weißt du sehr genau, und ich glaube dir keinen Augenblick, dass du gerne Quidditch spielen würdest."
"Du hast recht", gab Jessica zurück. "Eigentlich finde ich dieses Spiel ziemlich brutal - und ziemlich schmutzig." Sie lachte fröhlich. "Entschuldige, ich weiss, dass du es nicht magst, wenn ich so rede, aber so ist es nun mal."
"Jaja." Rolanda war mit ihren Gedanken schon wieder woanders. "Es muss doch einfach möglich sein. Ich weiss, dass man zum Animagus werden kann, ohne dass man sich beim Ministerium Hilfe holt. Es gibt so viele nicht gemeldete Animagi..."
"Wahrscheinlich", unterbrach Jessica sie, "liegt es einfach daran, dass du zu wenig gut zaubern kannst. In Verwandlung warst du noch nie ein As. Und ein Animagus zu werden ist unter Anleitung schon genug schwierig. Ich verstehe immer noch nicht, warum du dich in einen Falken verwandeln können willst. Steig doch auf deinen Besen und flieg, so viel dein Herz begehrt."
Rolanda verdrehte genervt die Augen. "Hundertmal hab ich's dir erklärt: Es ist einfach etwas anderes, wenn du ein Vogel bist. Versteh doch: Du hast Flügel, kannst wirklich fliegen, von Natur aus, ohne Hilfsmittel. Ein völlig anderes Gefühl, als wenn man sich unbeholfen auf einem fliegenden Stück Holz festklammert. Du kannst fliegen so hoch und so schnell du willst, ohne auch nur einmal schwindlig zu werden."
Jessica sah immer noch ziemlich unbeeindruckt aus. "Naja. Dann pass eben in Verwandlung besser auf und lern, dich in einen Falken zu verwandeln. Ist ja fast dasselbe."
"Nein!" Rolanda schlug sich mit der flachen Hand klatschend auf den Schenkel. "Erstens weiss ich nicht, ob ich diesen Zauber je hinbringen werde. Zweitens werde ich ihn bestimmt genau dann nicht schaffen, wenn ich ihn brauche. Und drittens braucht man dafür einen Zauberstab."
Jessica zog die Brauen hoch und machte ein unwissendes Gesicht.
"ZAUBERSTAB!", brüllte Rolanda. "Zau-ber-stab. Das ist ein mächtiger Unterschied. Ich will nicht durch einen Zauber zu einem Falken werden. Ich will, dass der Falke ein Teil von mir ist. Etwas, das in mir ist, nur darauf wartet, hervorzukommen und die Flügel auszubreiten. Eine Verwandlung", bei diesem Wort zog sie einen ungeheuren Flunsch, "kommt immer von aussen."
"Na gut, na gut." Jessica seufzte. "Ich gebe nach. Ich verstehe dich ja. Auch wenn ich selbst mich nie in einen Federknäuel verwandeln wollen würde." Sie erhob sich graziös und zog ihren eigenen Zauberstab aus ihrem Rucksack, der am Boden vor dem Bett lag.
"Ich war immer besser als du in Verwandlung", begann sie bedeutungsschwer.
"...und auch in jedem anderen Fach.", murmelte Rolanda verdriesslich, aber das überhörte ihre Freundin geflissentlich.
"...und darum werde es jetzt einmal versuchen." Jessica liess sich auf die Knie nieder und brachte schliesslich ihr Verwandlungsbuch aus dem Rucksack zum Vorschein.
"Jessica!" Rolanda war entsetzt. "Es sind Ferien! Warum in aller Welt hast du dein Verwandlungsbuch mitgenommen?"
"Um zu lernen, natürlich", gab ihre Freundin ungerührt zurück. "Ausserdem erschien mir ein Verwandlungsbuch für dein Vorhaben ziemlich nützlich." Sie rückte ihre Brille zurecht und begann, leise vor sich hinmurmelnd, ein Kapitel zu suchen. Schliesslich klappte sie das Buch wieder zu. "Ja, so klappt es vielleicht. Ein Verwandlungszauber, nur etwas anders - vielleicht", sie sah Rolanda prüfend an, "mehr - nach innen gerichtet."
Dann hob sie ihren Zauberstab, vollführte damit einige gekonnte Schleifen und murmelte dabei etwas, das wie "mutans... ferilis" klang. Eine Zeitlang war es still. Die beiden Mädchen guckten sich gespannt an. "Na?", meinte Jessica schliesslich, "fühlst du dich schon wie ein Falke?"
"Nicht sehr, wenn ich ehrlich bin.", gab Rolanda zurück. "Ausser einem kalten Schauer habe ich gar nichts gespürt." Aber Jessica antwortete nicht. Ihre hübschen braunen Augen waren rund geworden, und sie starrte mit offenem Mund in Rolandas Gesicht.
"Was ist denn?", fragte diese schliesslich. "Hab ich einen Pickel auf der Nase?" Jessica schüttelte nur den Kopf, und schliesslich stand Rolanda auf, und betrachtete sich in dem grossen Wandspiegel neben dem Fenster. Eine Weile sagte auch sie nichts. Dann meinte sie tonlos: "Ich hoffe, du kannst das auch wieder weghexen." Jessica nickte stumm und hob dann den Zauberstab.
Eine bange Weile später hatte sie es tatsächlich geschafft, den krummen Schnabel, der aus Rolandas Gesicht gewachsen war, zum Verschwinden zu bringen. Nur ein kleines Detail stimmte noch nicht.
"Ich krieg diese Augenfarbe einfach nicht weg!", jammerte Jessica und schwang zum wiederholten Male ergebnislos ihren Zauberstab. Rolanda hatte inzwischen einen kleinen Handspiegel aus Jessicas Rucksack gefischt, und betrachtete sich darin.
"Naja," meinte sie schliesslich. "Allzu auffällig ist es ja nicht. Vielleicht geht es auch von selber wieder weg." Ein hoffnungsvoller Blick aus vogelgelben Augen streifte Jessica, die tapfer nickte. In diesem Moment klang vom unteren Stockwerk her eine Stimme zu ihnen herauf.
"Rolanda? Jessica? Seid ihr oben? Essen ist fertig."
Jessica knuffte ihre Freundin aufmunternd in die Seite. "Sofort, Mrs Hooch, sofort!"
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