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Professor Sibyll Trelawney

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Stockgefuchtel

Die Glocke schrillte, und sogleich bereitete sich Geschäftigkeit aus in dem verrauchten Turmzimmer, in dem der Wahrsageunterricht stattfand. Die Hufflepuff-Viertklässler räumten schleunigst ihre Teetassen beiseite, packten ihre Rucksäcke und drängten zur Falltüre und der silbernen Leiter, die sie in die mit frischer Luft gefüllten Gänge Hogwarts' bringen würde.
"Einen Moment, meine Lieben." Sprach Professor Trelawney mit ihrer rauchigen Stimme. "Ich möchte gerne, dass ihr alle bis zum nächsten Mal regelmässig übt, den Satz eurer Teetassen zu lesen. Nur regelmässige, sanfte Anstösse öffnen euer inneres Auge."
Die Schüler murmelten etwas, das sowohl Zustimmung als auch abschätzige Bemerkungen hätten sein können und jene, die sich schon der Leiter zugewandt hatten, rollten die Augen. Dann verschwanden sie eilig einer nach dem anderen durch das Loch im Boden.
Als die Klasse verschwunden war, packte Sybill Trelawney den silbernen Haltering der Falltür und schloss diese sorgfältig. Sie zog ihren Zauberstab aus einem weiten Ärmel ihres Gewandes, schwenkte ihn einmal verächtlich, und die Teetassen begannen, in Reih und Glied zu einem kleinen Spülbecken an der Wand zu schweben, um sich dort von einer schwebenden Bürste reinigen zu lassen.
Auch Sybill Trelawney verdrehte die Augen. Zauberei! Albernes Stockgefuchtel. Kochunterricht mit ekelhaften Zutaten. Was für niedere, weltliche Dinge an dieser Schule für wichtig erachtet wurden!
Professor Trelawney Für ihr Fach hatte keiner Verständnis. Sie alle waren geblendet, fixiert auf ihr vergängliches, tägliches Leben. Sie sahen nicht über ihre eigene Nasenspitze hinaus. Keiner ihrer Schüler würde je erkennen, wie einem das innere Auge den Weg über die Welt hinaus zeigte.
Sie seufzte tief und schwer und ging zu dem hell lodernden Feuer, um noch etwas duftende Essenz hineinzugeben. Ein angenehm sphärischer Geruch verteilte sich in dem dämmrigen Raum und sie liess sich in ihren grossen, weichen Sessel sinken.
Ihr Arm baumelte Träge über die Sessellehne und die vielen glitzernden Ringe um ihr Handgelenk klagen leise. Draussen vor dem mit Tüchern verhängten Fenster fiel Schnee. Bestimmt war es eiskalt in den Gängen der Schule. Die Leute liefen wieder einmal hektisch umher und dachten an nichts anderes als Hausaufgaben, das Mittagessen oder den nächsten Quidditchmatch.
"Ignoranten!" Ihre eigene, beeindruckend weise klingende Stimme beruhigte sie ein wenig. "Meine Ehre als Seherin und Nachfahrin der grossen Kassandra hätte mich davon abhalten müssen, diese Arbeit anzunehmen." Ein stumm leidender Unterton schlich sich in ihre Stimme und ihre Gedanken verloren sich in Bildern von Trojas grosser, unverstandener Seherin.
"Aber genau wie bei meiner Urahnin scheint es mein Schicksal zu sein, auf ewig verhöhnt und als Aussenseiterin mein karges Leben zu fristen." Eine kleine Träne kämpfte sich den Weg über ihren Augenwinkel und unter ihrer schicken Brille hervor, die ihre tiefgründigen Augen so gut zur Geltung brachte. Sie fühlte sich jetzt ganz als einsame Märtyrerin und Kassandra so nah, dass sie sich wieder einmal überlegte, ob nicht ein Teil dieser unglaublichen Frau in ihr wieder erstanden sei.
"Ich werde meine Aufgabe trotzdem erfüllen. Zu was immer ich auch bestimmt bin" - und sie war sich sicher, dass diese Bestimmung genau so weltbewegend war wie die der Kassandra - "ich werde nicht aufgeben. Ich kann warten, bis meine Zeit gekommen ist. Und dann werden sie alle erkennen, wie ignorant sie mich behandelt haben!"
Entschlossen zupfte sie die Glückstücher mit den eingewobenen Silberfäden um ihren Hals zurecht, stand auf und trat ans Fenster. Sie schob die Tücher auseinander und blickte hinab in den Hof, der tief unter ihr lag und in weiss getaucht war. Sie konnte ein paar Schüler erkennen, die sich eine Schneeballschlacht lieferten. Mädchen und Jungen rollten kreischend und quietschend im Schnee herum, stopften sich das Zeug gegenseitig in die Mantelkrägen und Professor Trelawney war sich sicher, dass die Gegner nicht zufällig aus immer demselben Mädchen und Jungen bestanden. Sie schnaubte verächtlich. Sechstklässler waren es, sie erkannte Rosie Twigg an ihrem schrecklichen, leuchtend blauen Haarschopf. Und dieser Junge mit der lächerlichen Muggelkappe statt des Hutes auf dem Kopf, das war John Tyler, ein Siebtklässler! Nicht, dass sie den Kindern nicht ihr jugendliches Ungestüm gegönnt hätte, wie Professor Dumbledore ihr vorzuhalten pflegte, nein, im Gegenteil. Im Spiel lernten die jungen Leute, zu erkennen, dass es grössere Wahrheiten gab. Aber Sechst- oder gar Siebtklässler als Kinder zu bezeichnen, das war wohl doch der Gipfel der Nachgiebigkeit!
Erneut entwich ihren Nasenlöchern ein abschätziges Schnauben, dann zückte sie ihren Zauberstab, eine kleine Bewegung, und auf die Kindsköpfe im Hof prasselte aus dem Nichts ein Dutzend schöner, kalter, matschiger weisser Geschosse.
Da hatten sie ihre Schneeballschlacht!

by yaga

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