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In der Taverne war es düster wie in einer Kirche. Düster wie in einer Kirche, jawohl, und still wie in einem Grab. Bartolomäus Higgins wusste nicht, warum ihm gerade jetzt solche unheimlichen, ketzerischen Gedanken durch den Kopf gingen. Aber es stimmte: Der ihm sonst so vertraute Schankraum mit den grob gezimmerten, hölzernen Tischen und Bänken und den staubigen Fenstern war im Licht einer einsamen Kerze zu einer unheimlichen, fremdartigen Welt geworden. Unruhig flackernde Schatten drängten sich in den Ecken und schienen nur darauf zu warten, hinter seinem Rücken furchterregende Gestalt anzunehmen und ihn anzufallen. Um sich zu beruhigen, packte Mr. Higgins den Tonbecher in seiner Hand noch fester und konzentrierte sich darauf, ihn blitzblank zu putzen.
Zeiten waren das! Dunkle Zeiten! Schwarze Zeiten! Und seine Gäste trugen auch nicht zur Erheiterung des Abends bei. An dem grossen Tisch gleich vor der Theke sassen sich zwei einzelne, dunkle Gestalten gegenüber. Beide waren hochgewachsen und schlank, das konnte man auch unter ihren Kaputzenmänteln gut erkennen. Aber das war auch alles, was Mr. Higgins an diesen zwei Schemen menschlich schien. Seit mindestens einer Stunde, seit der letzte seiner Stammgäste Gute Nacht gewünscht hatte, hatten sich die beiden nicht bewegt. Er war sich sicher, er hatte sie die ganze Zeit beobachtet. Schliesslich waren es Fremde. Man konnte nie wissen. Besser vorsichtig als nachsichtig, pflegte er immer zu sagen.
Dabei stand vor jedem der Männer ein grosser Humpen Bier. Gutes Bier aus der Dorfbrauerei, aus einem frischen Fass gezapft. Nicht angerührt hatten sie es. Liessen das gute Bier versauern und starrten sich nur immer gegenseitig an. Was hatten die bloss? Ob sie wohl beide eingeschlafen waren?
Mr. Higgins erinnerte sich, dass der eine der beiden mindestens zwei Sanduhrumdrehungen später gekommen war als der andere. Kennen konnten sie sich also nicht. Naja, war ja klar, dass sich ein Fremder lieber zu einem einzelnen Mann an einen Tisch setzte, als an einen der anderen, an denen zu dieser Zeit noch lärmende Saufkumpanen gesessen hatten. Aber dass die sich dann gleich so komisch anstarrten? Er hätte den Laden schon längst schliessen müssen. Hatte nur gehofft, diese beiden unheimlichen Gestalten würden von selbst gehen.
Gerade, als Mr. Higgins sich entschlossen hatte, um Bezahlung zu bitten und Feierabend zu machen, regte sich der eine der beiden Kerle. Er nahm den Humpen vor sich auf, trank einen langen Schluck, und stellte ihn dann sachte wieder hin. Das tönerne Klopfen des Gefässes auf Holz war das erste Geräusch seit langer Zeit und dröhnte in den Ohren des Wirtes wie der Glockenschlag der Dorfkirche. Jetzt hob der Trinker zu sprechen an.
"Was starrst du mich so an, Bursche?", fragte er genau so langsam, wie er getrunken hatte. Seine Stimme war kaum mehr als ein raues Flüstern, aber sie klang trotzdem scharf und zischend.
Jetzt regte sich auch der andere. Er trank nicht, sondern antwortete in der gleichen, langsamen Art. Seine Stimme allerdings hatte einen leicht amüsierten Unterton.
"Und du? Was starrst du mich so an?"
"Ich sehe hin wo ich will.", entgegnete der andere scharf. Seine Augen glommen dunkel über dem scharfen Umriss einer kantigen Nase. Ein trockenes Lachen antwortete ihm.
"Denkst du etwa, ich nicht? Dein Gesicht gefällt mir nun mal so gut."
"Du willst mich doch nicht etwa beleidigen?" Die Stimme des ersten Sprechers wurde jetzt lauter, und dem Wirt wurde klar, dass der Humpen hier nicht sein erstes Bier an diesem Abend gewesen war. Ausserdem schien er sowieso ein säuerlicher Typ zu sein. Als er den Kopf ein wenig wandte, erkannte Higgins, dass ein dünner, langer Bart von seinem Kinn bis auf seine Brust herabfiel. Der Wirt fand solche "Möchtegernbärtchen" immer ein wenig lächerlich. Aber es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, diesen Fremden auszulachen. Der Bart unterstrich sein scharfes, strenges Aussehen und der Umriss wirkte im Widerschein der Kerzen wie eine sich aus dem Kinn windende Schlange, die in der Dunkelheit seines Umhanges verschwand. Bartolomäus Higgins schauderte unwillkürlich.
Der zweite lachte wieder, diesmal etwas lauter. Mr. Higgins hatte sie beide schon als "Zischer" und "Lacher" benannt.
"Im Gegenteil. Ich habe dir soeben ein Kompliment gemacht.", antwortete also "Lacher" sanft. Seine Stimme hatte ebenfalls einen harten, strengen Unterton, aber man konnte ihr anhören, dass "Lacher" öfters vergnügt als sauer war.
"Zischer" jedenfalls war sauer. Sehr sauer. Er stützte sich auf die Tischplatte, seine langen bleichen Finger umklammerten den Bierhumpen.
"Lügner, elender!", brauste er auf und lehnte sich drohend zu "Lacher" hinüber.
"Na na na", fühlte sich nun Mr. Higgins genötigt, einzugreifen. Er wollte keine Schlägerei in seinem Lokal, schon gar nicht so spät in der Nacht. Aber der zweite der beiden bedeutete ihm mit einer Handbewegung, stehen zu bleiben und ruhig zu sein..
"Keine Angst. Hier geht schon nichts kaputt.", beruhigte er den Wirt. Seine Stimme hatte eine beruhigende Wirkung auf den Wirt. Erleichtert, dass er sich nicht zwischen diese beiden Gestalten stellen musste, kehrte er zu seinem Tonbecher zurück.
Aber "Zischer" war ganz und gar nicht bereit, klein bei zu geben.
"Und ob hier etwas kaputtgeht. Deine eingebildete Visage geht hier gleich kaputt!", zischte er. Er stand auf, hob mit einer gedankenschnellen Bewegung seinen Humpen und schleuderte dem Gegenüber den restlichen Inhalt ins Gesicht. Besser vielleicht: Er versuchte es. "Lacher" erhob sich ebenfalls binnen eines Wimpernschlages und eben so schnell machte er eine kurze Handbewegung, als wolle er den Schlag abwehren und "Zischers" Arm schien auf Widerstand zu stossen. Der Humpen prallte zurück und das Bier schwappte über das Gesicht des Angreifers. "Zischer"s Gesicht plättete sich in Erstaunen, er öffnete den Mund, aber kein Laut kam heraus.
Das schöne Bier! Und das schöne Mobiliar! Eilig wollte Mr. Higgins die beiden zum Gehen auffordern, aber er hielt inne. Statt einen zweiten Angriff zu starten, stand Zischer nur einfach da. Von Kinn und Bart tropfte Bier und sammelte sich in kleinen Pfützen auf der Tischplatte.
"Du... du..." begann er schliesslich, aber es klang nicht wütend, nicht einmal ärgerlich. Nur erstaunt.
"Lacher" lachte leise und nickte mit dem Kopf. Überrascht und neugierig beobachtete der Wirt die Szene. Es war ihm völlig unverständlich, was da passierte. Diese beiden Vögel waren das komischste, was ihm je untergekommen war. Plötzlich hatte sich die Stimmung im Schankraum gewandelt. Sie war nicht mehr streitschwanger und bedrohlich wie noch ein paar Sekunden zuvor, nein, jetzt kam sich Mr.Higgins vor wie der Zuschauer eines spannenden Schauspiels, das kurz vor der Pointe steht.
"Du bist..." wiederholte der tropfnasse Kerl und hob einen unsicheren Finger, um damit auf sein Gegenüber zu zeigen. Wieder nickte dieser. Selbst im Zwielicht der Kerzen konnte der Wirt seine Augen vor Vergnügen blitzen sehen. Er glaubte aber auch, um "Lacher"s Mundwinkel einen Zug der Neugierde zu erkennen. Forschend glitt sein Blick über den anderen Gast. Seine Hände hielt er Gesenkt und in den Ärmeln verborgen, als wolle er zeigen, dass er keinen Angriff beabsichtige. Es konnte aber auch gut möglich sein, dass er in den weiten Ärmelschäften ein Messer oder eine andere Waffe bereit hielt, für den Fall dass sein Gegenüber doch wieder in die gewohnte, streitlustige Stimmung zurückfinden sollte. Aber "Zischer" tat nichts dergleichen. Er senkte nur langsam die Hand, mit der er auf "Lacher" gedeutet hatte.
Es folgte eine lange Stille, in der sich der Wirt schon wieder fragte, ob die beiden Reisenden wohl eingefroren seien. Aber dann drang ein dünner Ton vom Tisch her an seine Ohren. Es klang wie Schnüffeln. Aber nein, es wurde lauter, die Schultern der beiden Gäste begannen zu zucken. Sie lachten! Tatsächlich, sie lachten. Die beiden schütteten sich aus vor Lachen. "Zischer" schlug sich mit der Hand auf die Schenkel und wiederholte zwischen einigem Prusten immer wieder: "Du bist wirklich... nein wie dumm...".
Auch "Lacher"s Züge legten sich in Heiterkeitsfalten. Er kicherte fröhlich vor sich hin und schlug seinem gegenüber gar freundschaftlich auf die Schultern. Dabei presste er hervor: "Mach dir nichts draus, mein Alter. Jeder kann sich mal irren..."
Mr. Higgins schüttelte verstört den Kopf. Aber die heitere Stimmung der beiden liess ihn Mut fassen und er stammelte: "Bitte, die Herren... die Zeit, wisst ihr..."
Lacher klatschte ihm ein paar Münzen auf die Theke, und dann verliessen die beiden komischen Vögel Arm in Arm und immer noch prustend die Taverne.
Ja tatsächlich. Es war so. Einfach ein paar Münzen und dann waren sie gegangen. Higgins kratzte sich gedankenverloren den Kopf, während er die Tische mit einem staubigen Lappen abwischte. Immer wenn er die Taverne erst spät schliessen konnte (und das war mindestens jedes Wochenende der Fall), musste er an dieses seltsame Erlebnis denken. Es lief ihm auch heute noch kalt den Rücken hinunter, wenn er sich die Szene ins Gedächtnis rief. Warum zum Teufel hatten sie sich zuerst so angestarrt und waren dann abgezogen wie zwei Brüder? Hätte man ihm, Bartolomäus Higgins, einen Becher Bier ins Gesicht gekippt, so hätte er nicht lange gezögert und den Übeltäter durch das Fenster aus der Gaststube befördert. Aber eben. Da verstehe einer die Ausländer. Mit denen war es immer wie verhext.
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